KREATIVE SCHNELLSCHÜSSE
HELFEN NON-PROFIT-ORGANISATIONEN NICHT

Social Campaigning – Soziales Engagement

Agenturchef René Heymann über Social Campaigns und nachhaltiges Engagement

Wenig Geld – viel Ehr: Das Engagement von Agenturen für „Social Campaigns“ ist weit verbreitet. Denn mit kreativen Kampagnen für wohltätige Zwecke lassen sich nicht nur die eigenen Mitarbeiter motivieren, sondern auch Preise und Anerkennung gewinnen. Dass gut gemachte Werbung für Aufmerksamkeit sorgen kann und mitunter Geld in leere Spendenkassen schwemmt, haben auch immer mehr Non Profit-Organisationen erkannt. Die Folge: Der „Social Sponsoring-Markt“ boomt. Doch bisweilen hinterlassen wohlmeinende Kreative einen kommunikativen Scherbenhaufen, den ehrenamtliche Mitarbeiter dann später mühevoll wieder zusammenkehren müssen. Deswegen ist René Heymann, CEO von HEYMANN BRANDT DE GELMINI, der Meinung: „Hände weg von noch so verlockenden kreativen Schnellschüssen. Viele der wohlgemeinten Sozial-Kampagnen verfolgen nur einen Zweck: die Reputation der Agentur zu stärken. Ob den Organisationen damit wirklich geholfen wird, ist vielen Agenturen egal.“

Worauf Organisationen achten sollten, wenn sie sich von Werbeagenturen Kampagnen zum Nulltarif gestalten lassen, erklärt René Heymann im nachfolgenden Interview.

Warum haben Sie die STOP FGM NOW!-Kampagne mit Waris Dirie initiiert?

Corporate Social Responsibility ist ein fester Bestandteil unserer Agenturphilosophie. Wir arbeiten jetzt schon seit mehreren Jahren für TERRE DES FEMMES. Über die Auseinandersetzung mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ haben wir uns auch intensiv seit 2007 mit dem Thema Genitalverstümmelung (engl.: Female Genital Mutilation FGM) beschäftigt. Uns hat das Schicksal der betroffenen Frauen und Mädchen sehr bewegt. Mitte 2009 ergab sich ein Kontakt mit Waris Dirie, mit der wir über Möglichkeiten sprachen, wie man das Thema noch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken kann. So entstand unsere neue internationale Kampagne für die Waris Dirie Foundation STOP FGM NOW!

Was wollen Sie mit der STOP FGM NOW! Kampagne erreichen?

Erstmals wird unter dem Motto STOP FGM NOW! eine Kampagne ins Leben gerufen, die viele Organisationen unterstützen und für die eigene Kommunikation nutzen. Unter einem Dach und von einer Plattform starten alle Partner mit ihren Themen, Schwerpunkten und Möglichkeiten und verleihen damit dem Thema viel größere Aufmerksamkeit als dies jede einzelne Organisation für sich alleine erreichen könnte.

Damit erreichen wir eine größere Öffentlichkeit, um konkrete Veränderungen voranzutreiben. Wir haben schon in einer sehr frühen Phase der Zusammenarbeit festgestellt, dass es nicht reicht, „bunte“ Anzeigen und einen TV-Spot zu produzieren. Natürlich ist es auch wichtig, sich über klassische Print- und TV-Werbung Aufmerksamkeit zu schaffen.

Die Kampagne bricht mit gewohnten Sichtweisen und trägt die Botschaft so direkt in die „Wohnzimmer“. Dieser erste Schritt ist unabdingbar, damit man sich in der Flut der vielen Themen Gehör verschafft. Doch das ist nur ein Schritt. Leider hört hier das Engagement der meisten Agenturen auf. Wir gehen deutlich weiter, denn neben der Botschaft und der kreativen Verpackung sind die Inhalte und das konkrete Engagement von immenser Bedeutung. Ohne politische Arbeit, aktive Hilfe für Betroffene und Aufklärungsarbeit in den Ländern, die FGM praktizieren, verändert sich an der aktuellen Situation nichts. Darum ist es sinnvoll und wichtig die Kräfte im Kampf gegen FGM zu bündeln. Genau das macht die STOP FGM NOW!-Kampagne. Wir haben viele Partner mit ins Boot geholt. Zum ersten Mal kommunizieren die unterschiedlichen Organisationen unter einem Dach. Natürlich jede mit ihren Schwerpunkten. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz und im Internet können sie unter einer Kampagnen-Botschaft STOP FGM NOW! ihre Projekte und Arbeit vorstellen und auf diese Weise von der Aufmerksamkeit für die Kampagne profitieren. Das ist authentisch, nachhaltig und wird von den Rezipienten belohnt: höheres Spendenaufkommen, persönliches Engagement, politische Meinungsbildung, etc. All das sind Aspekte, die eine wirkliche Veränderung bewirken können.

Wen soll die STOP FGM NOW! Kampagne denn erreichen?

Ziel der Anzeigen und des Spots ist es, das Thema Genitalverstümmelung auch und gerade in das Blickfeld von Menschen zu rücken, die sich bisher nicht oder nur sehr wenig mit diesem grausamen unmenschlichen Folter-Ritual beschäftigt haben. Die bisherigen Kampagnen arbeiten oft mit Mitleid und schaffen auch eine räumliche Distanz. Motto: Ja, das ist grausam aber weit weg von mir. Also, was hab ich damit zu tun? Wir wollen den Betrachter unmittelbar ins Geschehen ziehen Indem wir dem in der „westlichen Welt“ bekannten Werbebild der idealen Frau verbal die Aufforderung gegenüber stellen, ihr die Klitoris herauszuschaben, irritieren wir den Betrachter komplett. Damit wollen wir auch die „Absurdität“ dieses uralten Rituals aufzeigen.

Aus diesem Grund bedienen wir uns der uns vertrauten Sichtweise einer Hochglanz-Beauty-Kampagne. Doch die gewohnte Erwartungshaltung des Betrachters wird mit der Kampagne nicht erfüllt. Die Headline verstört und führt zu einem Bruch mit der vertrauten Sichtweise. Irritation löst Auseinandersetzung aus. Und holt das Thema von „weit weg“ direkt in die Köpfe.

Welche Rolle spielen Social Campaigns für Agenturen generell?

Die Fokussierung der Branche auf Kreativ-Rankings hat zu einem Boom an Social Campaigns geführt. Viele glauben, mit sozialen und gemeinnützigen Kunden leichter an die begehrten Auszeichnungen zu kommen. Grundsätzlich ist gegen kreative und mutige Kampagnen nichts zu sagen. Aber unsere Erfahrung zeigt, dass Mitarbeiter von sozialen Einrichtungen und Organisationen oft unsicher im Umgang mit uns Werbern sind. Diese Unsicherheit verstärkt sich, wenn sie sämtliche Leistungen kostenlos angeboten bekommen. Es fällt ihnen dann sehr schwer, Zweifel an kreativen Vorschlägen zu äußern und klare Erwartungen zu formulieren. Einige Kreative machen sich diese Unsicherheit zu nutze und sehen dabei vorrangig ihren Nutzen: Die Wirkung der Kampagne bei den Juroren von Kreativwettbewerben ist ihnen wichtiger als die nachhaltige Wirkung bei potenziellen Mitgliedern oder Spendern.

Worauf sollten Non-Profit-Organisationen denn bei der Auswahl von Werbeagenturen achten?

Ganz einfach, die erste Frage sollte sein: Welches Ziel verfolgt die Agentur mit ihrem „Engagement“? Steht bei der Beantwortung der Frage ausschließlich die Reputation der Agentur im Vordergrund, sollte man definitiv die Hände davon lassen. Denn hier kann mehr Schaden entstehen als Nutzen. Sie sollten sich fragen, ob die Agentur bereits Erfahrungen mit Non-Profit-Organisationen hat. Gleich in den ersten Kontaktgesprächen sollte geklärt werden, wie es mit der Nachhaltigkeit der Agenturleistung bestellt ist: Ist eine Mindestbetreuungsleistung durch die Agentur gewährleistet? Welche Leistungen umfasst das pro bono-Angebot im Einzelnen? Hat die Agentur die Erfahrung, die Kontakte und das Interesse, die Kampagne auch medial umzusetzen? Außerdem ist es wichtig, von Beginn an klarzustellen, ob die Agentur die Zielsetzung und die Aufgabe der Non-Profit-Organisation tatsächlich verstanden hat und in der Lage ist, eine Lösung zu entwickeln, die der Organisation auch wirklich einen Mehrwert beschert.

Das Sponsoring (Leistung und Gegenleistung) muss gleich zu Beginn eindeutig zwischen den Partnern geklärt werden. Fazit: Wenn die Leistung der Agentur nicht nur darin besteht eine kreative Kampagne zu liefern und medial zu verbreiten, dann sollten sie weitere Gespräche mit der Agentur führen. Denn die Organisation opfert kostbare Zeit, die von der eigentlichen und wichtigen inhaltlichen Projektarbeit abgezogen werden muss. Weniger Zeit für das Projekt bedeutet aber auch weniger Hilfe für Betroffene. Das vergessen die meisten Agenturen komplett.

Nach welchen Kriterien sucht HEYMANN BRANDT DE GELMINI pro bono-Projekte aus?

Wir stellen uns drei Fragen. Erstens: Braucht das Thema mehr Öffentlichkeit? Die Entscheidung uns für das Thema FGM zu engagieren, ist bei uns gefallen, noch bevor der Film „Wüstenblume“ in den Kinos angelaufen ist, weil wir uns bei der Arbeit für TERRE DES FEMMES bereits 2007 mit dem Thema intensiv auseinander gesetzt haben. Zu diesem Zeitpunkt war das Thema Genitalverstümmelung in den deutschen Medien eher ein Randthema. Das hat sich durch den Film über Waris Dirie verändert. Aber Öffentlichkeitsarbeit ist weiterhin wichtig: Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind mindestens 150 Millionen Frauen weltweit von FGM betroffen. Diese Zahl muss man sich wirklich einmal vor Augen führen! Vielleicht hilft dazu ein Vergleich: Die WHO schätzt, dass weltweit 40 Millionen Menschen HIV-positiv oder bereits an Aids erkrankt sind.

Zweitens: Lässt sich das Thema „ungewohnt“ und nachhaltig ins Blickfeld der Öffentlichkeit bringen? Wir wollen keine Schock-„Werbung“ à la Benneton kreieren. Uns ist es wichtig, unsere Kernkompetenzen für schwierige unpopuläre Themen im Rahmen unseres CSR (Corporate Social Responsibility) Engagements einzusetzen, um einen nachhaltigen Erfolg für die Organisationen zu gewährleisten.

Drittens: Hat das Thema eine große Relevanz für die Gesellschaft? Es gibt so viele Nöte in der Welt. So viele Organisationen brauchen dringend Hilfe. Nur ganz wenigen können wir mit unseren Möglichkeiten helfen. Aus diesem Grund suchen wir nach Themen, die gesellschaftlich für viele Menschen relevant sein sollten, aber keine oder definitiv zu wenig Öffentlichkeit haben. Wir scannen regelmäßig Themen, denen wir dann über 3-5 Jahre zu einer größeren Öffentlichkeit verhelfen. Das ist unser Beitrag zu ein wenig mehr Menschlichkeit und Nachhaltigkeit.